20. Februar 2020
Vertrauensstelle Themis veröffentlicht erste Studie
News
Welche Rolle spielen Grenzen im zwischenmenschlichen und professionellen Umgang in der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche? Welche Erfahrungen machen Kulturschaffende mit Grenzverletzungen und Belästigung, wie reagieren sie darauf? Welche Hürden und Befürchtungen hindern sie daran, Unterstützung zu suchen und sich zu wehren?
Diesen Fragen widmet sich die Interviewstudie „Grenzen der Grenzenlosigkeit. Machtstrukturen, sexuelle Belästigung und Gewalt in der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche“. Das erste Forschungsprojekt von Themis, der im Mai 2018 gestarteten Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche, wurde von Mai bis November 2019 durchgeführt. Insgesamt 16 qualitative Interviews mit Vertreter*innen verschiedener Gewerke, darunter Produzent*innen, Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Regieassistent*innen sowie aus den Bereichen Ton, Schnitt und Szenenbild, ermöglichten einen genauen Blick auf Besonderheiten und Herausforderungen der Branche. Branchenverbände hatten den Aufruf zur unentgeltlichen Teilnahme an der Studie verbreitet. Alle personenbezogenen Informationen (Namen, Werk- und Produktionstitel, Firmen, Orte, Zeitangaben) wurden für die Studie anonymisiert.
Die Teilnehmenden berichten von einer großen Bandbreite an Erfahrungen mit Grenzverletzungen in der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche: Verbaler, psychischer, körperlicher und sexualisierter Art. Alle interviewten Personen kennen Grenzüberschreitungen unterschiedlicher Formen aus eigener Erfahrung oder der Erfahrung Dritter. Sie berichten gleichzeitig von einer Unsicherheit im Umgang mit solchen Erfahrungen und der Tendenz, eigene Grenzen massiv zu überschreiten. Häufig berichtet wird auch von Ängsten, sich gegen Grenzverletzung zu wehren, um nicht als „schwierig“ stigmatisiert zu werden. Viele fürchten Nachteile für die eigene Karriere.
Der Umgang mit Grenzen und Grenzsetzung in der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche ist komplex und stellt die Beteiligten vor große Herausforderungen. Es gibt gewisse berufsimmanente Grenzgänge – wie zum Beispiel die große körperliche Nähe im Bereich des Masken- und Kostümbildes oder emotionale Öffnung im Schauspiel. Anders als in anderen Branchen sei es selbstverständlich, den eigenen Körper als Instrument und weniger als eigenen intimen Raum zu betrachten. Hinzu kommt, dass die räumliche Nähe und intensive Zusammenarbeit im Produktionskontext die Grenzen zwischen privat und beruflich leicht verschwimmen lassen. Starke Konkurrenz und zugleich Familiarität in der Branche befördern zwischenmenschliche Abhängigkeiten. Die Studienteilnehmenden berichten von einer Reihe impliziter Regeln im zwischenmenschlichen Umgang, die eine Rollenklarheit erschweren. Auch kommen Aspekte, wie hoher zeitlicher und finanzieller Druck hinzu. Als besonders von sexueller Belästigung gefährdet schätzen sie junge Menschen, Berufseinsteiger*innen, Frauen in Schlüsselpositionen und Personen in weiblich konnotierten Berufen ein.
Die befragten Branchenvertreter*innen betonen die Notwendigkeit flächendeckender Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen. Besonders frühe Prävention z.B. an Schauspielschulen ist notwendig, um von Anfang an gesunde Grenzsetzung sowie taugliche Handlungsoptionen zu vermitteln.
Die Hinweise aus der qualitativen Studie machen den Bedarf nach einer quantitativen, empirischen Untersuchung deutlich, um repräsentative Zahlen zum Ausmaß des Problemfelds Grenzverletzungen und sexuelle Belästigung im Bereich Film, Fernsehen und Bühne zu erhalten.
Die komplette, 50-seitige Studie ist veröffentlicht unter https://themis-vertrauensstelle.de/forschung/
Über Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V.:
Themis-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt wurde von siebzehn Brancheneinrichtungen der Film-, Fernseh- und Theaterbranche gegründet. Dazu gehören ARD, ZDF, Bundesverband Casting, Bundesverband Regie, Bundesverband Schauspiel, Bundesvereinigung Maskenbild, Deutsche Akademie für Fernsehen, Deutsche Filmakademie, Deutscher Bühnenverein, Interessenverband Synchronschauspieler, Pro Quote Film, Verband der Agenturen, Verband Deutscher Nachwuchsagenturen, Verband Deutscher Filmproduzenten, Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen, Verband Privater Medien, Ver.di.
Namenspatin ist die griechische Göttin Themis; sie tritt für Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein.
Finanziert wird die Vertrauensstelle durch Beiträge öffentlich-rechtlicher und privater Fernsehsender, der Allianz Deutscher Produzenten, der Verwertungsgesellschaft der Auftragsproduzenten und dem Deutschen Bühnenverein. Die Vertrauensstelle Themis erhält öffentliche Förderung von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters.