10. November 2017

Storytelling zwischen Siri, New TV, Amazon und VR

News

10.11.2017. Soeben ging die zweitägige Babelsberger Tech-Konferenz CHANGING THE PICTURE (CTPiX17) zu Ende. Internationale Referenten lieferten aus ihren unterschiedlichen Perspektiven Ausblicke auf die Zukunft des Geschichtenerzählens in der digitalen Welt.Kernaussagen:

„We need artists not content providers!“

Futureproof your production: Intellectual Property nicht nur linear, sondern für alle möglichen Auswertungsformen parallel produzieren

Die echten Media-Tech-Trends: Sprachsteuerung, Sprachassistenten und die Suche auf Basis von Algorithmen

Broadcaster nutzen Social Media vornehmlich, um Publikum zu gewinnen und neue Inhalte zu testen

Endkonsumenten wollen herausragende internationale Serien, die großen Plattformbetreiber haben das bereits verstanden

VFX unterstützt das Storytelling ungemein, hebt Grenzen des Erzählens auf

VR Filme werden mit Game Engines produziert

Keynotes / Diskussionen / Gespräche

Die US-amerikanische Autorin und Filmemacherin Jennifer Hall Lee rüttelte mit ihrer Keynote, in der sie davor warnte, das künstlerische Element beim Filmemachen dem Business unterzuordnen, die Zuhörenden auf. Sie will es nicht Algorithmen oder Big Data überlassen, welche Geschichten wie erzählt werden. Und weiter resümiert sie: „Wir könnten das Filmschaffen zu einem reinen Handwerk werden lassen. Aber wenn wir das zulassen, wird im Film keine Kunst mehr stecken. Der Funken des Lebens, den nur die Kunst sichtbar machen kann, würde am Ende in Vergessenheit geraten“. Trotz der vielen technologischen Fortschritte, denen auch Jennifer Hall Lee positiv gegenübersteht, bleibe sie eine Geschichtenerzählerin, „tatsächlich erweiterten sie sogar meine Möglichkeiten und erlaubten es mir, filmische Grenzen auszudehnen, stets mit ein wenig Angst besetzt, aber immerhin“. Ihr Aufruf an das Publikum leitete sie mit einem Zitat Hannah Arendts ein: „Der Künstler ist das letzte Individuum einer Massengesellschaft“ und schloss mit „We need artists not content providers.“

Im Anschluss stellten internationale Protagonisten des neuen digitalen Ökosystems im Bewegtbildmarkt ihre Thesen in den Raum und diskutierten sie. Drew Diamond, Produzent beim Entertainment Technology Center in Los Angeles, appellierte an die anwesenden Produzenten: „Futureproof your production!“ Es werde immer wichtiger, Geschichten nicht nur linear zu erzählen, sondern Intellectual Property parallel für alle möglichen und auch noch nicht denkbaren Auswertungsformen nutzbar zu halten. Einmal errichtete Sets sollten gleich für einen VR/AR oder MR-Dreh genutzt werden. Man wisse in dieser technologisch schnelllebigen Zeit nie, so Drew, auf welche Weise die Geschichte an die Zuschauer gelangt, wenn sie einmal aus der Postproduktion komme.

Andy Taylor, mit seinen Little Dot Studios einer der weltweit erfolgreichsten Produzenten von Social Media Content, nutzt dagegen seine Inhalte für Social Media Plattformen gerne als Testfelder für kommende TV-Formate. Ansonsten seien die von ihm hergestellten Inhalte bislang noch im Wesentlichen monetarisierbares Marketing, wobei der Fokus deutlich auf der Promotion liege. Bei seinen Produktionen für Social Media Kanäle stehe stets die Frage im Vordergrund, wie er die Leute wieder zum TV zurück hole. Im Augenblick würde Social Media noch dem Fernsehen zuarbeiten. Ob das aber in fünf Jahren immer noch so aussehe, vermochte er nicht zu versprechen.

Greg Davies, Business Developer von Grabyo in London, setzt dagegen darauf, das Publikum gut zu kennen und – noch wichtiger – das Publikum des Publikums. Um es zu erreichen, braucht es nach seiner Beobachtung sogar immer mehr Kreativität. Die Vielzahl der Wege zum Publikum und die ungeheure Menge an Inhalten, der es permanent ausgesetzt ist, macht es notwendig, eben besonders kreativ zu sein, um aus der Masse herauszuragen.

Das anschließende Kamingespräch mit der Autorin Anna und dem Produzenten Jörg Winger, die gemeinsam mit „Deutschland 83“ die wahrscheinlich international bislang erfolgreichste deutsche Serie kreierten, vertiefte einige dieser Thesen in der produzentischen Wirklichkeit. So bestätigte Jörg Winger den großen Effekt, den Social Media auf das TV habe: „Ein großer Artikel im überregionalen Feuilleton ist wunderbar, bringt aber im Vergleich zu einer Diskussion über deine Sendung auf Facebook verhältnismäßig wenig“. Und so werde auch das Storytelling durch die Diskussionen in den Sozialen Medien beeinflusst: Man bekommt direktes Feedback zu Charakteren, Musik, etc. und lasse dies in die Skripte einfließen.

Beide berichteten darüber hinaus von ihren Erfahrungen bei Produktion und Vertrieb der Serie und stellten fest, dass sie sich in einer „Twighlightzone“ zwischen dem klassischen TV und dem neuen Plattform-Fernsehen bewegen. Ihre Serie sei damals für den deutschen Markt neu und ungewöhnlich gewesen. Denn entweder habe der Markt 90-minüter oder, mit Ausnahme der Soaps, abgeschlossene Serienfolgen verlangt. „Deutschland 83“ dagegen habe sich in der Konfektionierung eher an internationale Standards gehalten. Und es zeigt sich inzwischen, dass sich weltweit ein eher junges Publikum für gut hochkarätige, gut erzählte, hochwertig und international produzierte Serien interessiere. Dies spiegele sich inzwischen auch in der Programmstrategie der großen Plattformbetreiber wieder.

Den Konferenz-Nachmittag startete Mark Harrison, Geschäftsführer des Branchennetzwerks Digital Production Partnership, mit seinen Analysen zu den aus seiner Sicht wirklichen Technologie-Trends. Denn das seien bei weitem nicht die, von denen wir es annehmen würden. Er machte deutlich, dass die Trends, an denen die Industrie in den letzten Jahren schlaglichtartig gearbeitet und die sie mit großem Aufwand vermarktet hat, in der Regel nicht mit dem korrespondierten, was dem Nutzungsverhalten der Konsumenten entsprach. So würde etwa um VR ein Hype losgetreten, der den Möglichkeiten der Technologie nicht entspräche. Dagegen stellte er bpsw. das Smartphone, über das weit weniger diskutiert werde würde, aber ein Vielfaches stärker verbreitet sei. Er kam in seiner Analyse zu dem Schluss, dass die Trends, auf die man zählen müsse, zum einen die Sprachsteuerung seien, zum anderen die Suche, die noch einmal mehr als bereits heute zum entscheidenden Erfolgsfaktor werden wird.

In der DoP Diskussion wurde das Konferenzthema „Produzieren in einer digitalen Welt“ aus Sicht der Kameraleute und digitalen Bildgestalter beleuchtet. Die französische Kamerafrau Jeanne Lapoirie berichtete dabei von ihren Anfängen in den 90-er Jahren, als sie noch ihre Bilder auf Super16- Material bannte. Inzwischen dreht sie digital mit der Alexa, bekennt aber, dass sich ihre Art zu drehen dadurch nicht groß verändert habe. Allein Zeit habe sie durch die Alexa gewonnen, die wiederum dazu genutzt werden könne, mehr Szenen zu drehen.

Timon Schäppi, Schweizer Kameramann, und mit Filmen wie „Love Steaks“ oder „Tiger Girl“ bekannt geworden, setzt dagegen voll auf digitales Drehen. Man könne besser improvisieren, authentischer Szenen einfangen, aus der Hand drehen und mit der Kamera spontan dem folgen, wie sich die Szene entwickelt. Für ihn spart die Digitalisierung der Kameraarbeit allerdings keine Zeit: Denn jede Minute, die man irgendwo einspare, würde für weitere Dreharbeiten genutzt. „Am Ende dreht man wahrscheinlich auch nicht kürzer als vorher, man hat nur mehr Material.“

Sven Pannicke, Geschäftsführer von rise, einem weltweit tätigen VFX-Studio, beschwor dagegen die Möglichkeiten der digitalen Technik. „VFX unterstützt das Storytelling ungemein. Uns sind kaum noch Grenzen des Erzählens gesetzt. Wir können technisch alles im Bild umsetzen.“ In 20 – 30 Jahren, so sagt er voraus, wird sich allerdings das Filmemachen fundamental ändern. Dann werden zunehmend nur noch einzelne Bildelemente – Kulissen, Schauspieler, Ausstattungselemente etc. – aufgezeichnet. Filmemacher bedienen sich an diesen Elementen und setzen sie zu einem Film zusammen.

Den Abschluss des ersten Konferenztags bildete der Showcase zum Film- und VR-Projekt „Wonder Buffalo“ von Produzent Drew Diamond und Filmemacherin Christine T. Berg. Dort wurde praktiziert, was Drew Diamond fordert: Parallel und ergänzend zum Film produzierten die beiden noch ein VR-Erlebnis, das die autobiografisch geprägte Coming Of Age Geschichte noch einmal aus einer anderen, immersiven Perspektive erleben und so VR zum Teil des Storytellings werden ließ. Christine T. Berg schilderte eindrücklich, wie sie als in VR-Drehs eher unerfahrene Filmemacherin dennoch ihren kreativen und erzählerischen Input einbringen konnte und welche technologischen Besonderheiten zu beachten waren. Herausfordernd bei dem Dreh waren zum Beispiel der Umgang mit Terrabytes an Daten, die beim Dreh mit 45 gleichgeschalteten Kameras anfallen. Die größte Besonderheit sei aber wohl, dass VR Filme mit Game Engines produziert werden und nicht mehr mit den bekannten Produktionssoftwaren von Adobe und Co. Gaming und Filmtechnologien rücken also im Bereich VR enger zusammen.

Master Classes / Workshop

Die Fallstricke einer VR Filmproduktion, die Adaption eines Skriptes in die virtuelle Welt und was bei intelligenten Workflows zu beachten ist, vertieften Drew Diamond und Christine T. Berg am zweiten Tag der CTPiX17 in zwei Master Classes.

Der außerdem angebotene Ideation Workshop drehte sich um die branchenbewegende Suche nach neuen innovativen Geschäftsmodellen für die Filmindustrie.

Die Technologiekonferenz CHANGING THE PICTURE besuchten über 200 nationale und internationale Teilnehmer aus dem Film-, Fernseh- und Digitalproduktionsbereich. Zu den Besuchern gehörten Produzenten ebenso wie Drehbuchautoren, Regisseure, Creative Technologists, Produktionsleiter und Redakteure oder Distributoren, aber auch Interessenten aus IT und Industrie. Das Networking und der Austausch zwischen den Teilnehmer war elementarer Bestandteil beider Konferenztage.

Die CTPiX17 fand in Potsdam-Babelsberg auf dem Studiogelände statt und wurde veranstaltet von der transfermedia production service GmbH, gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg.

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