7. Oktober 2021

M100 geht mit Verleihung des M100 Media Award zu Ende

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Mit der Verleihung des M100 Media Award an den russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny und seine Anti-Korruptionsstiftung FBK fand die internationale Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium gestern Abend im Schlosstheater im Neuen Palais einen glanzvollen und bewegenden Abschluss.

Anstelle des inhaftierten Nawalny nahm sein Wahlkampfleiter und enger Vertrauter Leonid Volkov den Preis entgegen, der ihm von Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert überreicht wurde. Die Laudatio hielt FDP-Chef Christian Lindner, der sich inmitten spannender Koalitionsverhandlungen die Zeit nahm, um nach 2018 zum zweiten Mal die zentrale politische Rede des M100 Sanssouci Colloquiums zu halten.

 

Unter der Überschrift „Von der Dauerkrise zu demokratischer Resilienz“ hatten zuvor rund 80 internationale VertreterInnen aus Medien, Politik und Wissenschaft in einem virtuellen Format darüber diskutiert, welchen Herausforderungen Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Medien aktuell gegenüberstehen und wie die Widerstandsfähigkeit der Demokratie gestärkt werden kann.

M100 Media Award: „Ein Freiheitskämpfer, der zur Symbolfigur geworden ist“
In seiner Begrüßungsrede zu Beginn der Verleihung des M100 Media Award betonte Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert die Bedeutung der Verteidigung der Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft. „Demokratische Resilienz spielt nicht erst seit der Corona-Pandemie eine Rolle“, so Schubert. „In einer sich immer mehr individualisierenden Gesellschaft ist die Frage der Stärkung des Wertes der Gemeinschaft, heute wieder mehr denn je von Bedeutung, wenn wir nicht zuschauen wollen, wie unsere Gesellschaft sich in eine Horde von Individualisten atomisiert.“ Bei aller Pluralität der Meinungen „muss die Toleranz ihre Begrenzung finden in der Abwehr menschen- und demokratiefeindlicher Aussagen. Voraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens ist der Schutz von Menschen- und Grundrechten und die Bejahung der Demokratie als Gesellschaftsform. Und dazu müssen alle Gewalten aus meiner Sicht Ihren Beitrag leisten.“

Christian Lindner, der sich seit Monaten für die Freilassung Nawalnys einsetzt, unterstrich in seiner Laudatio, dass Oppositionelle in autoritären Staaten nicht in Vergessenheit geraten dürfen und alle in der Verantwortung stünden, es Alexei Nawalny und den AktivistInnen in der FBK in ihrem Einsatz für die Freiheit gleich zu tun. Das Streben nach Freiheit sei auf Dauer immer stärker als Macht und Unterdrückung. „Sowohl die Vergiftung als auch die Inhaftierung und die immer neuen Verfahren wegen angeblich ‚extremistischem Verhalten‘ von Alexei Nawalny und seinem Team sind international nicht zu akzeptieren“, so Lindner. „Öffentlicher und politischer Druck sind aufrechtzuerhalten. Ein versuchter Giftmordanschlag ist ein Zivilisationsbruch, den wir nicht hinnehmen können.“ Lindner betonte, dass wir „gegen falsche Herrscher und käufliche Eliten hart vorgehen“ müssen, „aber gleichzeitig das Herz öffnen für unschuldige Zivilbevölkerung.“ Man brauche mit Russland einen konstruktiven Dialog, der aber auch Menschenrechtsverletzungen klar beim Namen nennt. „So wie wir die Anliegen der Hongkonger Bevölkerung ernst nehmen, so erkennen wir auch Alexei Nawalny als einen Freiheitskämpfer an, der zur Symbolfigur geworden ist. Mit Nawalny teilen wir die Grundwerte von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit.“

Den Preis für Nawalny und seine Anti-Korruptionsstiftung FBK nahm Leonid Volkov entgegen, Stabschef und politischer Direktor des Teams von Nawalny und verantwortlich für die russische Smart-Voting-App. Der M100 Media Award sei auch deshalb eine besondere Auszeichnung, weil sie nicht nur Nawalny, sondern auch das gesamte Team der Stiftung damit Würdigung erfahre, so Volkov. „Durch den Journalismus, durch das geschriebene und gesprochene Wort, durch das Erzählen von Geschichten, ist Alexei Nawalny zu dem geworden, was er ist, Putins Hauptkonkurrent und Staatsfeind Nummer eins. Und damit teilt er das Schicksal so vieler Journalisten auf der ganzen Welt, die verfolgt werden, weil sie die Wahrheit sagen.“ Das FBK-Team um Nawalny sei nicht geschlagen, so Volkov, sondern sei sich ihrer Sache sicherer als je zuvor. Der Kampf für Menschenrechte beginne mit der Beseitigung der Korruption. Dieser Kampf gegen Korruption sei global, da die Redefreiheit und die Pressefreiheit auf dem Spiel stünden. Gefordert sei Zeit, Geduld und Hartnäckigkeit.

Mit der Wahl Nawalnys setzt der Beirat des M100 Sanssouci Colloquiums unter Vorsitz des Potsdamer Oberbürgermeisters Mike Schubert ein deutliches Zeichen für die Bedeutung der Verteidigung europäischer Werte durch eine unabhängige Opposition und Zivilgesellschaft, faire Justizverfahren und das Recht auf Ausübung grundlegender Menschenrechte. Die Preisvergabe dient auch als Symbol für fast 400 politische Gefangene in Russland, für ermordete Politiker und Journalisten und für den Kampf gegen zunehmenden Autokratismus in Europa.

M100 Sanssouci Colloquium: Resilienz als Schlüsselwort der Post-Corona-Ära
Am Nachmittag fand die internationale Medienkonferenz in einem digitalen Format statt. Der amerikanische Soziologe, Architektur- und Designtheoretiker Benjamin H. Bratton, Professor für Bildende Kunst an der University of California, San Diego, betonte in seiner Eröffnungsrede über „The Revenge of The Real: Politics for a Post-Pandemic World“, dass die COVID-19-Pandemie ein Beweis für die Krise der Kapazitäten – und der politischen Vorstellungskraft – des Westens sei und forderte als Antwort darauf eine „positive“, auch datengetriebene „Biopolitik“. So läge die Lösung zwar nicht in Künstlicher Intelligenz und Big Data, wie sie Facebook und Co. mit ihren „überindividualisierten Nutzerprofilen und Vorhersagen über den nächsten Wunsch, Klick oder Kauf bestehen“ praktiziert werde. Aber wenn eine Gesellschaft sich weigere, „ihre eigenen biologischen Gegebenheiten zu kennen und zu gestalten, indem sie die Mittel für Modellierungen ablehnt“, begehe sie eine „Gewalt der Vernachlässigung“ gegen sich selbst.
Anschließend erörterten die KonferenzteilnehmerInnen in drei parallel stattfindenden Strategischen Roundtable Merkmale und Voraussetzungen demokratischer Resilienz entlang der Themen Leadership in (Post-)Corona Zeiten, Europas Rolle in der Welt und das Verhältnis von Wissenschaft und Journalismus.

Um 17.00 Uhr ging es auf der Bühne des barocken Schlosstheaters vor Publikum mit der Rede von Prof. Dr. Andreas Reckwitz, Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema „Resilience in late Modernity“ weiter. Resilienz könne zu einem Schlüsselwort der Post-Corona-Ära, für die Politik des 21. Jahrhunderts insgesamt werden, so Reckwitz. Wolle man eine nachvollziehbare Lehre aus dem Umgang mit der Pandemie ableiten, dann müssen Gesellschaften resilienter werden und „Individuen sollten an ihrer Psyche arbeiten, damit sie an Resilienz gewinnen, und der Staat sollte der Gesellschaft einen Rahmen dafür bieten.“ Gesellschaften kämen besser aus Krisen heraus, wenn Vertrauen in Institutionen bestehe. Sie müssten wie auch Individuen lernen, „dass sie die Zukunft nicht vollständig planen können”. Auf der staatlichen Ebene sei allerdings der Grat schmal zwischen einem Regime zur Prävention von Risiken und einer Hochsicherheitspolitik, während der Pandemie ebenso wie angesichts des Klimawandels. Reckwitz: „Man muss es aushalten, dass sich gesellschaftliche Risiken nicht auf Null reduzieren lassen.”

Beim anschließenden Special Talk zum Thema “Die totalitäre Versuchung“ diskutierten Saad Mohseni, afghanisch-australischer Medienunternehmer und Mitbegründer und Vorsitzender der MOBY Group, Dr. Claudia Major, Leiterin der Abteilung Internationale Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), und Dr. Can Dündar, türkischer Top-Journalist und Chefredakteur von Özgurüz, über den Zustand der Demokratie und Gründe für den aufstrebenden Totalitarismus in der Welt. Moderation: Ali Aslan.
Eine ausführliche Zusammenfassung des Special Talk veröffentlichen wir zeitnah auf der Homepage von M100.

Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie in voller Länge hier (die Übertragung beginnt bei Minute 19:00).

Der M100 Media Award wird seit 2005 jährlich im Rahmen der internationalen Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium an Persönlichkeiten vergeben, die sich für Demokratie, europäische Verständigung und Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen. Bisherige Preisträger sind unter anderem Bob Geldof, Hans-Dietrich Genscher, der dänische Karikaturist Kurt Westergaard, Vitali Klitschko, „The Standing Man“ Erdem Gündüz, das französische Satiremagazin Charlie Hebdo, der italienische Schriftsteller Roberto Saviano, der Journalist Deniz Yücel, die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon sowie der ungarische Journalist Szabolcs Dull.

M100 ist eine Initiative von Potsdam Media International e.V., die in konzeptioneller Zusammenarbeit mit dem Institut für Medien-und Kommunikationspolitik (IfM) stattfindet und von der Stadt Potsdam hauptfinanziert wird. Weitere Förderer sind das Medienboard Berlin-Brandenburg, das Auswärtige Amt, das National Endowment for Democracy (NED) und die Friedrich Naumann Stiftung. Kooperationspartner: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG), Reporter ohne Grenzen (RoG), Human Rights Watch (HRW), der Verband Deutscher Zeitungsverleger (VDZ) und MediaTenor. Sponsoren: Medienlabor, Telekom, Bundesverband der Freien Berufe (BFB).

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