3. Mai 2021
Dok:Schnitt:Zukunft
News
Der Bundesverband Filmschnitt Editor e.V. veröffentlicht eine Umfrage mit eklatanten Ergebnissen zu Schnittzeiten, Vergütung und Arbeitsbedingungen von Editor*innen beim langen, unformatierten Dokumentarfilm
Trotz hoher filmischer und gesellschaftlicher Relevanz ist der lange unformatierte Dokumentarfilm als unerlässliches Korrektiv in einer von Schlagzeilen dominierten Welt nach wie vor Stiefkind der Sender, Produktionsfirmen und Förderanstalten. Zu geringe Budgets führen zu unangemessen niedrigen Vergütungen aller beteiligten Gewerke, zu improvisierten Arbeitsabläufen und am Ende oft zu Ergebnissen unterdurchschnittlicher Qualität. Um Auswege aus dieser Negativspirale zu entwickeln, hat der Bundesverband Filmschnitt Editor (BFS) bei Langer Media research & consulting eine Umfrage in Auftrag gegeben, die die Arbeitsabläufe im Filmschnitt und die Arbeitsbedingungen der Filmeditor*innen analysieren soll. Befragt wurden über 170 Editor*innen, die ihre Erfahrungen bei fast 250 Dokumentarfilmen, die ab 2015 uraufgeführt wurden, zu Protokoll gaben.
1.) Ergebnisse Die Ergebnisse der Umfrage zeigen deutlich, wie die Qualität eines Films und sein Erfolg in unmittelbarem Zusammenhang mit dem aufgewendeten Budget und der zur Verfügung stehenden Schnittzeit stehen. Die Umfrage deckt akute Missstände ebenso auf, wie sie Lösungen für gerechtere und optimierte Arbeitsabläufe erkennen lässt.
a) Schnittzeit. So konnte die Untersuchung ein eklatantes Missverhältnis von kalkulierter und tatsächlich benötigter Schnittzeit aufdecken. Bei über 65 Prozent der Filme wurde im Vorfeld zu wenig Schnittzeit kalkuliert. In branchenüblichen Kalkulationen wird oft von einer Schnittzeit von 12 bis 16 Wochen für abendfüllende Dokumentarfilme ausgegangen. Tatsächlich liegt die durchschnittlich benötigte Schnittzeit etwa doppelt so hoch, bei 27,3 Wochen. Bei der Mehrheit der Filme (fast 61 Prozent) wurden bei Vertragsabschluss keine Honorarabsprachen für den Fall einer Überschreitung der Schnittzeit getroffen, obwohl es keine Ausnahme ist, dass dieser Fall eintritt. 28 Prozent der Editor*innen bekamen die zusätzlich benötigte Schnittzeit nicht vergütet und mehr als 26 Prozent der Editor*innen nur in geringerem Umfang als die ursprünglich geplante Schnittzeit. Ebenfalls sichtbar wurde ein substantieller Unterschied zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen Filmen. Erfolgreiche Filme hatten eine Schnittzeit von durchschnittlich 31,5 Wochen, nicht erfolgreiche Filme nur 23,4 Wochen.
b) Vergütung. Knapp 90 Prozent der Editor*innen waren bei ihren Filmprojekten selbständig tätig (Rechnungsteller*innen), lediglich 10,5 Prozent abhängig beschäftigt (auf Lohnsteuerkarte). 72,8 Prozent der abhängig Beschäftigten wurden gemäß TVFFS oder höher vergütet. Fast ein Viertel der Befragten – 22,7 Prozent – gaben jedoch an, dass ihre Gage unter Tarif lag. Noch einmal deutlich schlechter stellt sich aber die Situation der selbständig Tätigen dar und damit der übergroßen Mehrheit. Zieht man in Betracht, dass die Gage von Selbständigen u.a. aufgrund der fehlenden Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung um mindestens 30 Prozent über den Gagen der abhängig Beschäftigten liegen müsste (effektive Gage), ergibt sich, dass 82 Prozent der Selbständigen unterhalb des vergleichbaren Tarifniveaus vergütet wurden und nur 4,9 Prozent darüber. Während die durchschnittliche Tagesgage der abhängig Beschäftigten 297 Euro betrug, lag die nominelle Durchschnittsgage der Rechnungssteller*innen bei 226 Euro, die effektive Gage bei 174 Euro. Das bedeutet, dass Rechnungssteller*innen im Durchschnitt ca. 41 Prozent weniger als abhängig Beschäftigte verdienten.
c) Schnittbudget. Die Budgetierung des Filmschnitts wurde vom Großteil der Befragten als „zu niedrig“ bewertet, obwohl ein Zusammenhang zwischen Schnittbudget und Filmerfolg feststellbar ist: Erfolgreiche Filme hatten ein fast doppelt so hohes durchschnittliches Budget wie nicht erfolgreiche Filme. Die durchschnittlichen Budgets der Filme, die bedeutende Filmpreise gewannen, waren dreieinhalb Mal so hoch wie die Budgets der nicht erfolgreichen Filme.
d) Schnittassistenz und Organisation des Workflows. Bei 41,4 Prozent der Filme gab es keine Schnittassistenz. Der Hälfte der Befragten stand diese nur punktuell zur Verfügung und lediglich 7,9 Prozent der Befragten hatten durchgängig eine Assistenz. Bei durchgehend anwesender Schnittassistent*in war die durchschnittliche Schnittzeit vier Wochen kürzer als ohne Schnittassistenz. Bei 20 Prozent der Befragten war der Schnittraum nicht oder nur teilweise adäquat eingerichtet. Nur bei 23 Prozent der Filme war ein durchgehender technischer Support gewährleistet. Nur etwa die Hälfte der Editor*innen war vorab organisatorisch in den Workflow eingebunden, noch weniger wurden inhaltlich/ dramaturgisch in die Vorbereitungen eingebunden.
2.) Forderungen Die Umfrageergebnisse haben den BFS veranlasst zur nachhaltigen Steigerung der Qualität des deutschen Dokumentarfilms fünf zentrale Forderungen zu formulieren:
a) Die Postproduktion benötigt eigene Fördertöpfe. Trotz der hohen Relevanz der Montage sind die Budgets für den Schnitt im Verhältnis zum Gesamtbudget meist zu klein. Die Umfrage zeigt deutlich, dass erfolgreiche Filme nicht nur über größere Gesamtbudgets verfügen, sondern im Vergleich auch deutlich längere Postproduktionszeiten aufweisen.
b) Realistisch ist ein halbes Jahr Schnittzeit. Unformatierte Dokumentarfilme benötigen deutlich mehr Schnittzeit als andere dokumentarische Formate. Die Aussage des Films, die Fokussierung auf das Thema und der dramaturgische Bogen – alles entsteht im Schnitt. Ausschlaggebend für die Dauer des Schnittprozesses ist u.a. die Materialmenge. Bei der Hälfte der untersuchten Filme übersteigt das Material 100 Stunden und bei 14,1 Prozent waren es sogar über 200 Stunden. Die Umfrage zeigt eine nahezu lineare Korrelation: je mehr Material, desto mehr Schnittzeit.
c) Verantwortung muss honoriert werden. Die Tarifgage definiert die Mindestgage für Berufsanfänger*innen. Dennoch liegt bei den ausgewerteten Filmen die Durchschnittsgage darunter, sowohl für die abhängig Beschäftigten als auch – noch eklatanter – bei den Selbstständigen. Der große kreative und inhaltliche Beitrag, den der Schnitt am Gesamtwerk hat, muss sich in der Bezahlung von Editor*innen widerspiegeln.
d) Schnittassistenz zahlt sich aus. Eine professionelle Schnittassistenz betreut den Workflow vom Drehbeginn bis zur Fertigstellung und unterstützt den kreativen Prozess. So können sich Editor*innen ganz auf ihre Kernkompetenz konzentrieren. Produzent*innen, die hier sparen, zahlen unterm Strich drauf, denn es ist schlicht nicht wirtschaftlich, wenn Editor*innen ihre Arbeitszeit für Assistenz-Tätigkeiten nutzen.
e) Kalkulation braucht Transparenz. Dokumentarische Filmproduktionen, besonders wenn sie durch öffentliche Gelder gefördert sind, von öffentlich rechtlichen Sendern beauftragt oder ko-produziert werden, sollten in der Verantwortung stehen, ihre Filmschaffenden fair zu bezahlen und die Schnittzeiten realistisch zu kalkulieren. Die Überprüfung der Kalkulationen sollte zur Pflicht werden.
Zur Umfrage, den Ergebnissen und daraus abgeleiteten Forderungen ist das BFS Team Dok:Schnitt:Zukunft zu verschiedenen Veranstaltungen eingeladen: Beim DOK.fest München am 10. Mai 2021 um 15.00 Uhr präsentieren Vertreter*innen der Gruppe die Umfrage mit Filmbeispielen vom diesjährigen Festival.
Und am 17. Juni 2021 um 12.00 Uhr diskutieren Branchenvertreter*innen die Umfrage im Rahmen des Branchentreffs DOKVILLE in Stuttgart.